„Knochenarbeit“ für Siegel
Rothenburger Wildbad möchte Zertifizierung für Umweltmanagement
ROTHENBURG – Nach Anerkennung von höchster europäischer Ebene strebt die Evangelische Tagungsstätte Wildbad. Im September will sie sich nach „EMASPLUS“ zertifizieren lassen. Dahinter verbirgt sich das weltweit anspruchsvollste System für nachhaltiges Umweltmanagement. Die Rothenburger Einrichtung hat sich damit die Förderung umweltbewussten Denkens und Handelns durch planmäßiges Wirtschaften auf die Fahnen geschrieben.
Die Arbeit im hauseigenen EMAS-Team (abgeleitet von „Eco-Management and Audit Scheme“) im Wildbad läuft gerade auf Hochtouren. Darin vertreten sind alle Bereiche der Einrichtung: Technik, Hauswirtschaft und Service, Küche, Außenbereich und Leitung. Schon rund ein Jahr lang nimmt das Team federführend die gesamte Arbeit am Haus genau unter die Lupe – und schreibt mit allen Mitarbeitenden gemeinsam bereits eingeschlagene Wege fort. Schließlich gibt die Leitlinie „In Verantwortung leben“ schon seit 2010 im Wildbad die Richtung vor.
Ob durch eine Zertifizierung mehr oder andere Gäste zu gewinnen sind, dazu wagt Pfarrer Herbert Dersch keine Prognose abzugeben: „Aber die Vorzüge, die wir als Einrichtung haben – die Lage, der Park, das Ambiente – das alles ist nicht nur schön. Es wird konsequent weitergedacht und weiterentwickelt.“ Immer darin mit einbezogen ist die Enkel-Generation als Maßstab, wie Herbert Dersch erläutert: „Jede Generation lebt von den vorausgegangenen und für die nachfolgenden. Das heißt für uns: Einfach gut leben, dass uns die Enkel loben, wie wir umgegangen sind mit Gaben und Begabungen, mit Macht und Geld.“
Dazu gehören Grundsatzentscheidungen, wie beispielsweise der Anschluss an das Blockheizkraftwerk in der Stadt. Dadurch verringert das Wildbad den Kohlendioxid-Ausstoß um rund 190 Tonnen pro Jahr. Das erforderte zwar Anschlusskosten, dieTagungsstättenleiter Herbert Dersch „in etwa“ mit denen für die Anschaffung einer eigenen Heizungsanlage für das Wildbad vergleicht.
„Tagen im Grünen“
Ebenso sinnvoll, weil klimaschonend, sind die ersten Investitionen des Wildbads ins „Tagen im Grünen“. Angesichts der hohen Temperaturen in den Tagungsräumen stand das Haus vor der Alternative, die Räume entweder zu klimatisieren oder ansprechende Tagungsmöglichkeiten im Park zu schaffen. Es hat ins Grüne investiert – und kann den Gästen des Hauses jetzt im Sommer neue Orte wie den Pavillon anbieten.
Dem Pfarrer ist „ein Lob der kleinen Schritte“ und Kontinuität beim Zertifizierungsprozess viel wichtiger als schnell verglühende Strohfeuer: „Wir wollen in einen permanenten, einen unumkehrbaren Prozess kommen. Denn alles, was wir bewusster wahrnehmen und nicht verbrauchen, schont die Umwelt und unseren Haushalt.“
Gedanklich greift er trotzdem gern auch voraus: „Warum nicht finanzielle oder wie bei Managern großer Unternehmen steuerliche Anreize schaffen, damit Mitarbeitende mit Elektrofahrrädern statt mit Autos zum Wildbad kommen?“ Durch die Hanglage des Wildbads eine wichtige Frage, auch für Einkäufe und andere Dienstwege in der Stadt. Ebenso wird über die Anschaffung eines Elektroautos nachgedacht. „Dann könnten vielleicht sogar abendliche Transfers möglich werden, weil es keine Ruhestörung mehr für unsere Gäste gibt.“
Die Messlatte im Wildbad liegt auch nach der Zertifizierung hoch. Denn die Einrichtung muss den externen Gutachtern nach einer erfolgreichen ersten Umweltverträglichkeits-Prüfung im Zweijahres-Rhythmus nachweisen, wie und dass es die Mitarbeitenden in den Prozess einbezieht, die Kommunikation verbessert und konsequent zu einer verbesserten Umweltbilanz beiträgt.
Dem Zeitgeist, der auf Bio, Öko oder Nachhaltigkeit setzt, springt das Wildbad mit seinem Zertifizierungsbestreben keinesfalls hinterher, beteuert Wirtschaftsleiter Stephan Michels vehement. „Trendy nein, auf Traditionen bauen: ja.“ Ganz im Sinne Friedrich Hessings. Dieser hatte das heutige Wildbad vor gut einhundert Jahren in ein „Kurhotel ersten Ranges“ verwandelt und schon damals mit Begriffen wie „Heil- und Bäderwelt“ oder „Ganzheitlichkeit“ verbunden.
Für das Heute übersetzt der 45-jährige Wirtschaftsleiter das so: Verantwortung übernehmen für Körper, Seele und den Geist, für das Wohl der Menschen, die im Wildbad arbeiten, die Gäste oder Zulieferer sind, für eine gesunde Umwelt, für die Architektur, die Künste, das Schöne, den Genuss. „Denn all das kommt im Wildbad zusammen“, sagt Stephan Michels.
Extern könne die Zertifizierung einen „Imagegewinn durch überzeugendes Handeln“ und das Ringen um die besten Argumente bringen, schätzt Stephan Michels. Es werden „hochemotionale Themen entemotionalisiert und messbar“. Endlich könne in- und extern darüber diskutiert werden, was Genuss bedeutet und was der Preis über ein Getränk oder ein Essen aussagt. Weil Produktqualität nicht allein am Preis ablesbar ist, sondern vor allem auch am Herstellungsverfahren, an der Ökobilanz eines jeden Produkts.
Haltung des Wildbads zeigen
Stephan Michels hofft, dass durch die Anwendung der strengen Kriterien und die angestrebte Zuerkennung der Zertifizierung vieles deutlicher aufgezeigt werden könne. Dazu zählt er die Haltung des Wildbads gegenüber Lebensmitteln, zu Lieferanten und Lieferwegen oder zu nachhaltigem Anbau von Nahrungsmitteln. Schon jetzt schöpft das Wildbad bei Lebensmitteln aus der Region. Konventionell erzeugtes Geflügel wird gar nicht mehr eingesetzt. Eines seiner Ziele: Den Gästen des Hauses nicht nur, wie bisher, täglich ein vegetarisches Essen anzubieten, sondern den Fleischkonsum zu reduzieren und nur noch auf Bio zu setzen.
Für Manuela Gardner liegt einer der Pluspunkte der Bewerbung um Umwelt-Zertifikate darin, dass vorhandene Einstellungen überdacht werden. Sie vertritt den Bereich Hauswirtschaft im EMAS-Team des Wildbads und sieht unter anderem bereits Verbesserungen bei der Abfallsortierung und dem Umgang mit Reinigungsmitteln. „Das Gleiche betrifft den Strom“, sagt die gelernte Hauswirtschafterin. „Zu Hause geht es an den eigenen Geldbeutel. Jetzt sind wir auch hier aufmerksamer. Der Schalter ist schon umgelegt.“
Im September werden die unabhängigen Prüfer zur offiziellen Wildbad-Überprüfung erwartet. Bis dahin müssen noch jede Menge Vergleichszahlen beschafft, Lieferanten befragt, interne Abläufe im Haus verbessert und Stammdaten erfasst werden, erläutert Stephan Michels: „Die Bestandsaufnahme ist Knochenarbeit. Zielsetzungen zu erarbeiten, heißt Kreativität.“ cr
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