Zeitlose Menscheleien

Hans-Sachs-Gilde lebt die Schwänke des Schusterpoeten

ROTHENBURG –  In einer Zeit, da so viele Gewissheiten ins Wanken geraten, tun diese Meisterstücke des fastnächtlich lustigen Bühnenstreichs besonders gut. 500 Jahre sind sie alt, und doch haben sie offenbar nichts von ihrem fesselnden Un-ter-hal-tungswert eingebüßt. Welt-lage hin, Digitalisierung her – für ein heiteres Stündchen sei beides vergessen. Hier geht es um zeitlose Menscheleien: um Knauserei und Profitlichkeit, um Mundraub, Seitensprünge, um schamlose Schlitz-ohren und darum, wie man sich an seiner eigenen List arg die Finger verbrennen kann.

Schadenfroh genießen die Schinkendiebe den dreisten Denkzettel. Foto: Düll

Die Zuschauer in dem bis auf den letzten Platz ausverkauften Toppler Theater amüsierte das Gastspiel der Rothenburger Hans-Sachs-Gilde auf herz-erfrischende Weise. Dafür gab‘s zu Recht viel Beifall und auch Zwischenapplaus.

Die Truppe, selbst ein Verein mit bald hundertjähriger Tradition, begeistert als urlebendiges Spezialisten-Ensemble. Ihr Spiel wahrt die Historizität und wirkt doch, als seien die Verse des Nürnberger Schus-terpoeten und Meistersingers Hans Sachs (1494 – 1576) erst gestern verfasst worden.

Es ist ein Liebhaber-Theater der feinen Art, wie Ernst Schülke und Paul Seltner im „Gestohlenen Schin-ken“ als bewamste Bauern einen raffinierten Raubzug in die Speisekammer ihres geizhälsigen Standesgenossen aushecken, wie ihnen ausgerechnet der Pfarrer (Claus Lichtinger) dabei hilft, den Bestohlenen (nuancenreich verkörpert von Axel Zeuleis) per Wahrheitstest hinterfotzig einen Denkzettel zu verpassen. „Bitter im Munde“ kann der Ingwer nur ihm werden, bei der Ladung Hundedreck, die sie ihm unterjubeln.

Auch in „Das heiße Eisen“, dem zweiten Klassiker des Abends, setzt der Meister des Schwanks auf eine Art Lügendetektor seiner Zeit, um die Pointen auf die Spitze zu treiben. So entwickelt sich aus dem glühheißen Treuetest eine opulente wechselseitige Seitensprungbeichte von gehöriger Sogkraft.

Mit Leib und Seele leben die Hans Sachser – hier Judith Seltner als „Ge-vatterin“ (Patin), Andrea Zeuleis als Bürgerfrau und Claus Lichtinger als gewiefter Gatte – ihre Rollen. Ihr Publikum lassen sie genüsslich mitleiden und mitschlawinern. Mit Hingabe, aber ohne laienhaftes Overacting malen sie die Typen, die Affekte und den Plot dieser zeitlos altfränkischen Schwänke aus.

Eines darf dabei nicht fehlen. Die unvergleichliche Rothenburger Hans-Sachs-Musik, die mit Geigen (Robert Kern, Susanne Langenmayr, Hans-Peter Nitt), Bratsche (Ernst Schülke), Klarinette (Valentin Kastner), Gitarre (Oswin Voit) und Kontrabass (Gerhard Wiederer) in pulsierenden Polkas, „Schot-tisch“ und ihrem Erkennungs-„Dreher“ Pfiffigkeit und Lebenslust verströmt. Dazwischen holen die acht tiefe Atemzüge an leiser „Poesie“ in Liebesliedern der frühen Neuzeit wie „An–na Maria fein“, die Sänger Helmut Döppert mit Charisma einfühlsam den Herzen öffnet. hd

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