Rare Bildzeugen

Alte Postkartenschätze aus dem Taubertal

ROTHENBURG – Früher war das ein Muss: Ob Ostseestrand oder Mallorca, Alpen oder Skandinavien – Verwandte und Arbeitskollegen bekamen eine Ansichtskarte mit vielen Grüßen und Beschreibungen vom Urlaubsort, die neidisch machten. Diese Tradition ist im Zeitalter von Facebook und Email aus der Mode gekommen. Die kulturhistorische Bedeutung alter Stadtansichten offenbart die Sonderausstellung „Grüße von der Tauber“ im Reichsstadtmuseum.

Der Stadt Rothenburg sehr gewogen: Sammler Klaus Berge.       Fotos: sis

Der Stadt Rothenburg sehr gewogen: Sammler Klaus Berge. Fotos: sis

Als einen Glücksfall bezeichnete Museumsleiter Dr. Hellmuth Möhring das Geschenk von über 1200 historischen Ansichtskarten aus der ge­samten Region Hohenlohe-Franken mit Schwerpunkt auf den Orten der Tauber. Übergeben hat sie Klaus Berge, ein eifriger Sammler von Taubertal-Ansichten mit Bildern Rothenburgs, von Schillingsfürst, Creglingen, Weikersheim, Bad Mergentheim, Tauberbischofsheim oder Wertheim. Auch Ortschaften wie Uffenheim, Aub, Niederstetten sind vertreten. Einige der Exponante sind von Hand gezeichnet und stellen somit Unikate dar. Andere dokumentieren Ereignisse wie Brände und Überflutungen. Der größte Teil der Karten wurde um 1900 in Auftrag gegeben. Für viele Dörfer wie Gebsattel, Leuzenbronn, Insingen, Herrnwinden und andere sind die bunten Grüße die einzigen Ansichten aus der Zeit und damit rare verlässliche Bildzeugen. Klaus Berge, in Frankfurt beheimatet und vor Pensionierung im Marketingbereich tätig, pflegt gute Beziehungen zur fränkischen Region. Regelmäßig schlägt er sein Feriendomizil im Röttinger Ortsteil Bieberehren auf und stattet Rothenburg einen Besuch ab. Das Reichs­stadtmuseum hat er schon auf vielfältige Weise großzügig unterstützt. Sei es als Leihgeber durch die Ausstellung „Zauber derTauber“ im Jahr 2000 oder durch Geschenke wie das städtebaulich wertvolle Panorama von Josef Ruep. Eine Kuriositiät ist die Postkarte mit 100 württemberger Motiven. Sie erschien in Tübungen um 1900. Unter dem Titel „Hie gut Württemberg allweg“ sind sieben Bildnis-Medaillons prominenter Württemberger und 93 prägende Gebäude- und Landschaftsdarstellungen zu sehen. Ausgeführt als Stahlstich ist jedes einzelne Motiv inklusive der Beischrift weniger als einen Quadratzentimer groß. Für eine Postkarte auch damals noch ein ungeheurer Zeitaufwand – eine höchst wirkungsvolle Tourismus-Werbung.

Karte von Franz Rorich mit hundert Württemberger Motiven.

Karte von Franz Rorich mit hundert Württemberger Motiven.

Mit dieser Sammlung von Ansichtskarten hat das Reichsstadtmuseum seine Bestände im Bildbereich ausweiten können, hob der Museumsleiter bei der Ausstellungseröffnung hervor. Durch die 16 000 Fotos von Richard Wagner, den 3000 Fotos aus dem Stadtarchiv, 6000 modernen Fotos und den vielen Ölbildern und Aquarellen mit Stadtansichten kann die Einrichtung jetzt mit den Postkarten auf einen Bestand von gut 28 000 Bilddateien zurückgreifen. Dabei sind die über 5000 Fotos der Sammlung Baumann noch nicht mitgerechnet. „Damit etabliert sich das Museum weiter als Bildanlaufstelle für viele Hilfesuchende“, so Dr. Möhring. Stolz verwies er darauf, dass ein Großteil der Bilder für das neue Stadtgeschichtsbuch, das im November erscheinen wird, aus dem Reichsstadtmuseum kommt. Die alten Postkartenschätze eröffnen nach seiner Ansicht die Möglichkeit, „wieder einmal ein wenig über die Stadtmauern von Rothenburg hinaus zu schauen, zu sehen, wie die Tauber oftmals romantisiert und verkitscht, oftmals aber auch ignoriert und dafür die örtliche Gastwirtschaft in den Mittelpunkt gerückt wurde“.

Den brutalen Zug des Flusses zeigen die Ereignispostkarten, besonders wenn das Hochwasser Häuser und Straßen weggespült hatte. Manchmal geben die Texte berührende Inhalte wieder wie heiße Liebesschwüre einer Frau aus dem Schwäbischen an ihren Geliebten oder die Lobeshymne eines amerikanischen Auswanderers, der seine Vaterstadt Niederstetten als „like in paradise“ charakterisiert. Bei einer Karte, die an eine Frau Alzheimer adressiert ist, wurde die genaue Adresse vergessen. Die einzigartige Ansichtskartensammlung ist nicht nur hinter Glas zu sehen, dazu ist sie viel zu umfangreich. Der Besucher hat Gelegenheit, sich über einen steuerbaren Bildschirm seinen Lieblingsort auszusuchen, um dort die Karten vergrößert zu betrachten. Wer Zeit und Geduld mitbringt, kann sich die selbstlaufende Präsentation aller 1241 Bilder ansehen. Nach knapp drei Stunden ist man durch. Das authentischste Erlebnis aber bieten die Originale. Gegen eine kleine Gebühr erhalten Interessierte einen digitalen Abzug von den historischen Karten. Die Raritäten im Postkartenformat sind noch bis 14. August zu sehen: täglich von 9.30 bis 17.30 Uhr. sis

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