Letzte Chance wahrgenommen

Realschul-Filmgruppe schafft mit Zeitzeugen-Interviews zum Luftangriff einmalige Dokumentation

ROTHENBURG – Wenn es um authentische Berichte aus der Kriegszeit geht, dann gilt es endgültig allerletzte Chancen zu nutzen. Dies hat die Realschul-Filmgruppe mit ihrem  dokumentarischen Beitrag über den Bombenangriff auf Rothenburg getan, indem sie jahrelang Augenzeugen befragt hat. Der Film wurde letzte Woche öffentlich vorgeführt und fand unerwartet großen Zuspruch.

Bei Dreharbeiten: Andrea Knäulein und Günther Etter interviewen den Zeitzeugen Reinhold Endres in Adelshofen.

Bei Dreharbeiten: Andrea Knäulein und Günther Etter interviewen den Zeitzeugen Reinhold Endres in Adelshofen.

Zur Premiere, die im Kino stattfand, waren mit weit über 200 Interessierten viel mehr gekommen, als der Saal fassen konnte. Aber auch die Folgeaufführungen des Films in der Aula der Oskar-von-Miller-Realschule fanden ein interessiertes Publikum. „Sehr nahegehend, sehr behutsam und einfühlsam, wie das Filmteam damit umgeht”, heißt es in einem der Kommentare, die Besucher auf Kärtchen geschrieben haben. In der Tat darf man den Filmemachern unter bewährter Leitung von Thilo Pohle wie schon öfter bescheinigen, dass ihre Konzeption stimmig und dem Thema angemessen ist, wozu auch die Entscheidung für einen Schwarzweiß-Beitrag statt Farbe gehört. Die Kunst lag auch darin, die rund fünf Stunden aufgenommener Interviews in eine 80-Minuten-Filmfassung zu bringen. Doch die Schnitte sind gelungen und der Wechsel mit Fotos und vor allem den Sprecherkommentaren der Schüler sorgen für die nötige Abwechslung. Vor allem aber stehen die Befragten im Blickpunkt, von denen mancher regelrecht aufrüttelnd erzählt – und das darf trotz der traurigen Sache durchaus auch mal zu Lachern führen, wenn von mancher kuriosen Erscheinung mitten im Feuersturm berichtet wird. Thilo Pohle sprach in seiner Begrüßung bei der Premiere davon, dass es der Filmgruppe manchmal buchstäblich im letzten Moment noch gelungen ist, Erinnerungen einer aussterbenden Kriegsgeneration zu erfassen. Die Schwerpunkte der jüngeren Produktionen waren der Alltag im Dritten Reich, die Kapitulation und die Bombardierung, mit der man den Anfang von drei Filmen macht. Dem Wiederaufbau verdanke man, dass die Spuren der Zerstörung von Ostern 1945 nur für Eingeweihte noch sichtbar sind. Die sehr persönlichen Filmzeugnisse könnten die wissenschaftliche Auseinandersetzung nicht ersetzen, aber kommenden Generationen das Geschehen begreifbarer machen, betonte Thilo Pohle.

Sein Dank galt besonders den Familien und Zeitzeugen sowie dem Reichsstadtmuseum. Den Film habe man dank der finanziellen Unterstützung durch die VR-Bank und den Landkreis verwirklichen können. „Ein Tag, der zur Nacht wurde – Rothenburg in Flammen“ ist die Dokumentation betitelt. Gut dreißig Interviewpartner wurden dafür vor allem die letzten drei Jahre aufgenommen, eine Aufnahme von Erika Bohn stammt bereits von 1993. Verständlich, dass nicht alle im fertigen Film einen Platz finden konnten, aber in der Gesamtdokumentation ist nichts verloren gegangen. Am Ostersamstag, 31. März 1945, um 10.30 Uhr heulen die Luftschutzsirenen, kurz darauf laden 16 US-Bomber ihre tödliche Last über der Altstadt ab. Es geht dem Zuschauer nahe, wenn Karl Friedlein erzählt wie er als 15-Jähriger bei der Feuerwehr gelöscht hat oder Gertrud Schubart berichtet wie es war, als sie aus dem Luftschutzkeller im Greifen ins Flammeninferno hinauskam, Maria Köhnlein von der einstigen Metzgerei am Rödertor schildert den Fliegeralarm und die totale Zerstörung, Helmut Keitel erzählt fesselnd von einer Fahrradfahrt am Ostersamstag 1945 nach Rothenburg, als man vor Fliegern Schutz suchte und nicht ahnen konnte, was gleich passieren würde. Und es trifft wohl jeden Zuschauer, wenn er die traurige Geschichte von der Freundin Ursula Langenbuchs (Hella) hört, die ein Sprengkörper am Weißen Turm tödlich verwundet hat. Oder Glocken-Wirt Karl Thürauf, der berichtet, dass einer auswärtigen Wehr, die zufällig vor der Stadt war und eingriff, die Rettung von Häusern am Plönlein zu verdanken ist.

Thilo Pohle, Andrea Knäulein, Kerstin Schmidt Fotos: tp (3) diba (2)

Thilo Pohle, Andrea Knäulein, Kerstin Schmidt Fotos: tp (3) diba (2)

Kinder, die mit Eimerketten versuchten, Wasser heranzuschaffen und mutige Männer und Frauen, die mit Stabbrandbomben in den Dachstühlen umzugehen wussten – überall galt es zuzupacken, was oft ohne Rücksicht auf Leib und Leben geschah. Aber nach und nach wurde offensichtlich, dass viele umgekommen sind (39 Menschen), darunter neun Kinder und ganze Familien. „Raus aus den Kellern, ihr erstickt sonst“ schrien Soldaten, die selbst verwundet waren und aus dem Markusturm kamen, als es brannte – so berichtet Wilhelm Löblein und fügt betroffen hinzu: „Die ganze Rödergasse war ein einziges Flammenmeer”. Traudl Hufnagel berichtet von einer Auffangstelle für die Ausgebombten in der Rosengasse, die man erst abends um 17 Uhr mit Feuerwehrleuten betreten konnte. Dort hätten sie auch den bei ihnen einquartierten französischen Kriegsgefangenen wieder getroffen. Die Menschen in der Stadt können an diesem Ostern, das so friedlich begonnen hatte, das Unglaubliche nicht fassen. Gegen halb zwölf Uhr, als akuter Luftalarm ertönte, hatten das sogar wegen des neuerdings geänderten Signals manche mit Entwarnung verwechselt. Aber die Einkäufe für das Osterfest endeten schnell um die Mittagszeit in Feuer, Rauch und Trümmern, während es immer noch Unbelehrbare gab, die vom Endsieg oder dem „Wunder einer Kriegswende” träumten. Alle an der Produktion Beteiligten können sich über das große und positive Echo auf den Film freuen. Besonders aber sind Kerstin Schmidt und Andrea Knäulein zu erwähnen, die in über 600 Stunden Arbeit all ihre Erfahrungen aus der langjährigen Mitarbeit in der Filmgruppe eingebracht haben, wie Thilo Pohle betont. Es galt das Material schriftlich zu erfassen, digital zu bearbeiten, um dann die Vorführfassung zu schneiden. Pohle: „Ohne ihre Ausdauer über fast dreieinhalb Jahre hätte dieser Film nicht entstehen können – und sie haben es verstanden, Schüler für die schwierigen Sprecherrollen zu gewinnen”. Wie es Realschuldirektor Dieter Schulz auch in seiner Rede bei der Filmpremiere festgestellt hat, könne man auf solch eine Leistung der Filmgruppe stolz sein. Andrea Knäulein sprach bei der Begrüßung von einem Wettlauf mit der Zeit, weil es immer weniger Menschen gibt, die aus erster Hand vom Krieg berichten können. Umso mehr dankte sie allen mitwirkenden Augenzeugen für „ihre ehrlichen, teils privaten und häufig auch politischen Einblicke in ihr Leben”. Die Realschulfilmgruppe hat sich die große Anerkennung, die sie erfährt, verdient. Man ist umso mehr gespannt auf weitere Produktionen. diba

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