Ein offener Eklat
Zwischen Stadt und Gewerkschaftern wegen Grußwort-Absage
ROTHENBURG – Die Grußwort-Absage der Stadt Rothenburg bei der traditionellen Maikundgebung sorgte für breite Kritik auf Arbeitnehmerseite. Der gescholtene Bürgermeister Kurt Förster nahm als Sozialdemokrat und Gewerkschaftsvertreter an der Veranstaltung teil und ließ sich in seiner Haltung nicht beirren, als gewählter Volksvertreter für das Gemeinwohl verantwortlich zu sein.

Wegen des schlechten Wetters wurde die Maikundgebung vom Grünen Markt in das Rathausgewölbe verlegt. Fotos: Schäfer
Wie berichtet, hatten sich Oberbürgermeister Walter Hartl und Stellvertreter Kurt Förster einvernehmlich darauf verständigt, künftig von einem Grußwort als Stadtvertreter bei der Maikundgebung abzusehen. Beide störten sich an Stil und Art, wie der letztjährige Hauptredner von der IG Metall Fürth, den persönlich anwesenden Geschäftsführer des größten Unternehmens in aller Öffentlichkeit namentlich heftig kritisierte. Die Wahl der markigen Worte fand der sozialdemokratische und gewerkschaftsfreundliche Bürgermeister Kurt Förster peinlich. Mit der Grußwort-Absage wollte die Stadtspitze ein Zeichen setzen, dass sie in der Gesellschaft für die Vermittlung von Werten veranwortlich sei.
Die Reaktion stieß bei Arbeitnehmern und deren Interessenvertretung auf großes Unverständnis und sogar Ablehnung. Der DGB-Ortsverbandsvorsitzende und städtische Mitarbeiter, Walter Nees, drückte auf der Maikundgebung vor rund hundert Teilnehmern im regengeschützten Rathausgewölbe sein Erstaunen über die Stadt aus, denn der Werkleiter selbst habe „keinerlei Anzeichen von Verärgerung oder beleidigt sein gezeigt“. Von der Stadt sei die angeblich so schlimme Situation erst einmal überhaupt nicht angesprochen worden, sondern erst zehn Monate später.
Die Sache bezüglich der Nutzung der städtischer Mikrophon-Anlage und des Rednerpults der Stadt („eine jahrzehntelange Gepflogenheit“) sei dagegen nach persönlicher Anwesenheit des Oberbürstermeisters am 1. Mai 2013 sofort am nächsten Tag thematisiert worden, führte Walter Nees aus. Das Mikro durfte fortan für die Kundgebung nicht mehr genutzt werden, wie er sagt, das Rednerpult nur noch, „wenn ein Grußwort auf Bürgermeisterebene gehalten wurde.“
In elf Städten in Mittelfranken finden nach seinen Angaben Maikundgebungen statt. Bei zehn Veranstaltungen gebe es Grußworte: neun Mal vom jeweiligen OB beziehungsweise dem 1. Bürgermeister. Nur in Ansbach habe die amtierende Oberbürgermeisterin noch nie bei der Maikundgebung gesprochen, sondern stets einen Stellvertreter entsandt.
Im Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren und des NS-Terrors rief der Gewerkschaftsvertreter dazu auf, „auf allen gesellschaftlichen Ebenen eine Kultur des kritisches Geistes und der kritischen Haltung mit Worten und Taten zu etablieren und zu fördern – gerade auch in Betrieben und Verwaltungen“. Denn der kritische Geist, die Fähigkeit und Bereitschaft, auch Unangenehmes zu tun und Nein zu sagen, „müssen geübt werden“, meinte Walter Nees. Nicht wenige müssen ihm zufolge erleben, „dass die Taten ihrers Chefs und Vorgesetzten nicht den gerne geäußerten, wohlfeilen Worten entsprechen.“ Als Stichworte nannte er: „Mitarbeiter ernst nehmen, frühzeitig in Entscheidungen einbeziehen.“ Doch die Erfahrung lehre etwas anderes: „Widerspruch ist so etwas wie Majestätsbeleidigung.“
Es folgte ein lautstarker Zwischenruf vom Gewerkschafter und ehemaligen AEG/Elektrolux-Betriebsratsvorsitzendem Rainer Kretschmer, der sich im Ruhestand befindet. Für ihn persönlich sei die Grußwort-Absage der Stadt „ein Unding“ und zeige, welche Rolle die Arbeitnehmer in der Stadt haben: „nur Stimmvieh“. Damit rief er die beabsichtigte moralische Entrüstung wach. Begleitet von kräftigem Applaus fügte er als Ausruf des Missfallens noch ein „Pfui Teufel auf diesen OB“ hinzu und nannte ihn einen „Stoffel“, mit dem er während seiner beruflichen Zeit „gottseidank“ nichts zu tun gehabt habe.
„Wir können auf Grußwort, Technik und Rednerpult verzichten“, kommentierte Hauptredner Jürgen Göppner, Geschäftsführer der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Mittelfranken, die Rothenburger Vorkommnisse und fügte an: „Bestimmte Leute brauchen wir nicht auf unseren Veranstaltungen“. Dann sprach er über die Digitalisierung der Arbeitswelt als große Herausforderung, die prekäre Situation der Altersarmut und von nicht hinnehmbaren Vorgängen in Betrieben. Als Beispiele „kreativer Formen“ von Mitarbeiterüberwachung und Lohngestaltung nannte er den amerikanischen Online-Versandhändler Amazon, den US-Fahrdienstvermittler Uber und einen Nürnberger Kino-Betreiber, der kostengünstige Sachleistungen auf den Lohn anrechnen wollte. Außerdem prangerte er Arbeitszeitverstöße bei Spargelerntetätigkeiten an und hielt Kritik am „Bürokratiemonster“ Mindestlohn wegen der Dokumentationspflicht für „maßlos übertrieben.“
Obwohl die Auswirkungen des vor rund hundert Tagen eingeführten Mindestlohns weniger gravierend seien als von Kritikern befürchtet, steuere die Große Koaltition auf einen heftigen Krach um Korrekturen am Gesetz zu. „Wendehals Seehofer und die Kultur der Amigos und Spezln lassen grüßen“ sagte Jürgen Göppner und kritisierte Ausnahmen beim Mindestlohn. Betroffen seien Jugendliche unter 18 Jahren, Langzeitarbeitslose und Praktikanten.
Stärkere Kontrollen der Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften, forderte der Verdi-Gewerkschaftsvertreter, aber dem Zoll fehlen die Kontrolleure, weil rund sechshundert Planstellen nicht besetzt seien. Jürgen Göppner vermutet, dass dahinter eine „poltisch gewollte Wirtschaftsförderung der Bundesregierung steckt.“ Zum Abschluss seiner Rede wandte er sich gegen Begrenzungen des Streikrechts („der Gipfel der CSU-Poltik“) und gegen eine Tarifeinheit („kollektives Betteln“). Kritisch sieht er die Pläne zu den geplanten Freihandelsabkommen. Ziel allen Handelns müsse eine „soziale und lebenswerte Gesellschaft sein“.
Mit dem gemeinsam gesungenen Traditionslied „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ endete die Maikundgebung. Die Blaskapelle Gebsattel musizierte beim anschließenden Platzkonzert unter den Rathausarkaden wegen des Regens und nicht wie geplant auf dem Marktplatz. sis
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