„Es gibt keinen Plan B“

Die Wählergemeinschaft Insingen hofft auf Lohr

LOHR – Für schwierige Situationen gibt es keine einfache Lösung. Die Bürger der Gesamtgemeinde Insingen stehen beim Bürgerentscheid am 22. September vor einer weitreichenden politischen Entscheidung mit zahlreichen Folgen. Helfen könnte beim Abwägen der unterschiedlichen Positionen, wenn die Wählergemeinschaften in Insingen und Lohr in diesem Verfahren transparent kommunizieren und die Karten offen auf den Tisch legen, um Klarheit zu schaffen. So ganz überzeugen können beide Seiten bisher offenbar nicht.

Gut besucht war die Wahlveranstaltung der Wählergemeinschaft Insingen im Gasthof „Zum Ochsen“ im Lohr: Die Bürger stehen vor einer schweren Entscheidung und erwarten Aufschluss. Foto: Schäfer

Gut besucht war die Wahlveranstaltung der Wählergemeinschaft Insingen im Gasthof „Zum Ochsen“ im Lohr: Die Bürger stehen vor einer schweren Entscheidung und erwarten Aufschluss. Foto: Schäfer

In der laufenden Diskussion fühlen sich die Bürger hin- und hergerissen zwischen Fragen und Zweifeln. Offene Fragen blieben sowohl nach der Veranstaltung der Wählergemeinschaft Lohr kürzlich im Insinger Sportheim, ebenso wie beim Auftritt der Wählergemeinschaft Insingen am Montagabend im Lohrer Gasthof „Zum Ochsen“. Im Gespräch mit Zuhörern lautete der häufigste Kommentar: „Ich bin nicht schlauer als vorher“. Skepsis herrscht sowohl in Lohr als auch in Insingen wegen der Vermutung, dass die Hauptakteure beider Seiten einen „Plan B“ in der Hinterhand haben und erst nach dem Bürgerentscheid mit den Tatsachen herausrücken.

Die Wählergemeinschaft Insingen war bei ihrem Auftritt in Lohr um Sachlichkeit bemüht. Bernhard Köhler als Sprecher der Vertrauensleute und früher selbst im Gemeinderat aktiv, wo jetzt sein Sohn sitzt, rechtfer­tigte in seinem 25-minüti- gen Vortrag die Vorgehensweise auf der Suche nach einer Lösung für die Nachfolgeregelung des langjährigen Bürgermeisters Rudolf Ebert. Bei der Wahl im nächsten Jahr tritt er aus Altersgründen nicht mehr für das Ehrenamt an. Im Gespräch war der Zweite Bürgermeister Hanskarl Ruppe. Nach seiner Absage hielt die Wählergemeinschaft Insingen nach einem neuen Kandidaten Ausschau und bekam von den angesprochenen Personen in der Gemeinde „nur Absagen“. Willy Pümmerlein knüpfte schließlich Kontakte zu dem gebürtigen Insinger Peter Köhnlechner, der mit Frau und drei Kindern im benachbarten Hausen am Bach lebt und als Verwaltungsfachwirt in der verantwortungsvollen Position des Kämmerers bei der Verwaltungsgemeinschaft Rothenburg arbeitet. Durch die langjährige Zusammenarbeit mit dem Bürgermeister und dem Gemeinderat kenne man seine fachlichen und persönlichen Kompetenzen. Die Wählergemeinschaft Insingen sah in dem 45-Jährigen den geeigneten Mann für den Posten im Rathaus. Am 24. Juni stellte sie den Antrag an den Gemeinderat, das höchste Amt künftig mit einem Berufs-Bürgermeister zu besetzen, „weil dieser Job nicht mehr neben dem Beruf nach Feierabend zu leisten ist“, erläuterte Bernhard Köhler in der Versammlung vor über sechzig Zuhörern. Man habe das Vorgehen „nicht an die große Glocke gehängt, sondern unter der Decke gehalten wegen der sensiblen Personalangelegenheit“. Man sei bewusst zweigleisig gefahren und habe die Themen „Hauptamtlich“ und „Köhnlechner“ getrennt, „um einen Schritt nach dem anderen machen zu können“. Außerdem habe man sich den geeigneten Kandidaten nicht von Nachbargemeinden bei der Personalsuche abspenstig machen lassen wollen.

Die Wählergemeinschaft Lohr sei seinerzeit in einer schwierigen Situation gewesen nach dem Unfall ihres Vorsitzenden. Brigitte Seybold aus Lohr, deren Mann im Gemeinderat sitzt, sprang in die Bresche und bat um Zeitgewinn. Wie Bernhard Köhler einräumte, drängte seine Wählergemeinschaft auf eine Entscheidung: „Wir wollten kein halbes Jahr mehr warten und die Sache durchziehen“.

Bürgermeister Rudolf Ebert und die Mehrheit des Gemeinderates folgten diesem Ansinnen und überstimmten die Lohrer Ratsminderheit am 11. Oktober mit dem überraschenden Beschluss eines hauptamtlichen Bürgermeisters. Auch die breite Öffentlichkeit wurde von diesem Ergebnis überrascht. In Lohr regte sich Widerstand. Eine Bürgerinitiative führte ein Bürgerbegehren für einen Bürgerentscheid herbei, um den Mehrheitsbeschluss des Gemeinderates zu kippen.

In dieser Auseinandersetzung sorgte die Lohrer Wählergemeinschaft für einen neuen Schauplatz mit dem Rücktritt der Vorstandschaft und der Veranstaltung unter neuer Leitung im Insinger Sportheim, wo Dr. Dietmar Lorek als möglicher Kandidat ins Gespräch gebracht wurde. Der Lehrstabsoffizier und Geowissenschaftler lebt erst seit etwa einem knappen Jahr mit Frau und vier Kindern in Lohr und signalisierte seine Bereitschaft, als ehrenamtlicher Bürgermeister zu kandidieren, „wenn sich sonst niemand findet.“ Der Berufssoldat trat Gerüchten über Sympathien zu Bekannten mit rechtem Gedankengut entgegen und unterstrich seine eigene politische Haltung zur demokratischen Rechtsordnung. Die persönlichen Angriffe wurden seitdem weniger.

Der Wählergemeinschaft Insingen fehlen bei Dr. Lorek die Voraussetzungen zum Führen der Gemeinde. Wie Bernhard Köhler ausführte, erwarte man von einem Kandidaten, dass er kommunalpolitische Verwaltungserfahrung, Auftreten („dass wir uns nicht genieren müssen“) und Ortskenntnis mitbringt („das ist nicht das Gleiche wie Filz und Verflechtungen) und über gute Kontakte zu Ämtern und Behörden verfügt. Diese Kriterien erfülle Peter Köhnlechner.

„Wir haben uns die Entscheidung nicht leichtgemacht und wissen, dass ein Hauptamtlicher mehr kostet.“ Die von der Wählergemeinschaft Lohr errechneten Mehrkosten im Jahr von „48 500 bis 112700 Euro“ nannte er „zu hoch gegriffen“. Eigene Recherchen hätten lediglich eine Differenz von rund 50000 Euro ergeben. In der Diskussion mit Bürgern, darunter der frühere Gemeinderat und Verwaltungsfachmann Walter Ott, tauchten Fragen zum Zahlenwerk auf, die Bernhard Köhler in der heutigen Versammlung in Insingen aufklären will. Aus den Reihen der Zuhörer wurde immer wieder Kritik an der mangelnden Transparenz laut: „Wir stünden heute nicht vor der schwierigen Situa­tion, wenn man früher bescheid gewusst hätte.“

„Wir wollen alle das Beste für die Gemeinde“, versuchte Bernhard Köhler zu entkräften, „nur über den Weg sind wir uns uneinig.“ Die Gemeinde könne es sich nicht leisten, von einem ehrenamtlichen Nicht-Fachmann geführt zu werden. Zu viel stehe auf dem Spiel. „Es besteht die Gefahr, dass mehr kaputt gemacht wird.“ Man habe inzwischen die Größenordnung eines Mittelstandsunternehmens mit 300 Arbeitsplätzen und entsprechender Steuerkraft.

Rudolf Ebert könne man aufgrund seiner langjährigen Erfahrung und Leistung einem „Profi“ gleichstellen. „Ohne ihn würde es eine Firma Nölscher in der Form nicht geben“, sagte Bernhard Köhler und versicherte, „es gibt keinen Plan B für den Fall, dass sich die Mehrheit beim Bürgerentscheid für einen ehrenamtlichen Bürgermeister ausspricht.“ Wer den Bürgerentscheid befürworte, „der will Dr. Lorek oder entscheidet sich für ein Fragezeichen“. Die andere Lösung: Den Bürgerentscheid ablehnen und mit „Nein“ stimmen.

Der designierte Kandidat Peter Köhnlechner beließ es bei einer kurzen Vorstellung und erläuterte, dass er sich bei Entscheidungen von den Grundfragen der Politik leiten lasse: Was will ich? Und: Was ist richtig. Eine zukunftsfähige Entwicklung der Gemeinde sei mit einem Hauptamtlichen „besser zu verwirklichen.“

Die Wählergemeinschaft Lohr hielt sich zurück und äußerte lediglich ihre Bedenken zur Haushaltssituation und zur finanziellen Belastung. Ziel der Gruppe ist es, beim Bürgerentscheid die Mehrheit für die Fortführung des Ehrenamts im Rathaus zu bekommen. Eine klare Antwort, wie es danach weitergeht, gibt es momentan nicht. Gegenüber der Presse gab es verschiedene vage Andeutungen, die noch so manche politische Überraschung erwarten lässt. sis

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