Auf Weg gebracht

Verein für außerklinische Ethikberatung feiert Auftaktveranstaltung

ROTHENBURG – Der Wert einer Gesellschaft bemisst sich maßgeblich auch daran, wie man mit kranken und sterbenden Menschen umgeht. Der neugegründete Verein für außerklinische Ethikberatung Rothenburg möchte sich genau dafür stark machen. Im Städtischen Musiksaal feierte man jüngst die Auftaktveranstaltung, um dieses wichtige Engagement offiziell auf den Weg zu bringen. 

Erster großer Schritt gemacht: Die Mitglieder des Vereins für außerklinische Ethikberatung Rothenburg mit Schirmherr Walter Hartl und Referentin Dr. Layla Güzelsoy (im blauen Kleid).Foto: Scheuenstuhl

Im Grenzbereich zwischen Leben und Tod sei man mit den schwierigsten Entscheidungen konfrontiert, erklärte Oberbürgermeister Walter Hartl, Schirmherr der feierlichen und gut besuchten Veranstaltung. Man müsse dem Willen der erkrankten Person gerecht werden und dürfe zugleich auch die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht aus den Augen verlieren. Hierfür erfordere es „fachlich kompetente Unterstützung“, die der neugegründete Verein biete.

Neben der ausführlichen Vorstellung des Konzeptes des Vereins erklärte Dr. Leyla Güzelsoy in einem Impulsvortrag, was unter Ethikberatung zu verstehen sei. Die mittlerweile vorwiegend als Psychoonkologin tätige Medizinerin gehört unter anderem der Ethikkomission am Klinikum Erlangen sowie der Ethikberatungen an den Nürnberger Kliniken an. Grundsätzlich handelt es sich bei Ethik um gelebte Moral.

In der Medizinethik werden Erkenntnisse und Überzeugungen aus den Sozialwissenschaften, der Philosophie sowie der Medizin für den Entscheidungsfindungsprozess herangezogen. Orientierung für in Heilberufen Tätige bieten die vier medizinethischen Prinzipien nach Tom Lamar Beauchamp und James F. Childress.  Sie werden zunächst als gleichberechtigt angemessen, müssen aber im Einzelfall konkretisiert und gegeneinander abgewogen werden.

Unter dem Prinzip der Fürsorge sei die aktive Suche nach etwas zu verstehen, „das dem Patienten gut tut“, so die Referentin – ein ganz zentraler Aspekt in der Palliativmedizin.

Rechtfertigt das Therapieziel   potenziellen Schaden?

Das „Nicht-Schaden“ als zweites Prinzip ist Grundlage jeden medizinischen und pflegerischen Handelns. Dahinter verbirgt sich laut Dr. Layla Güzelsoy die Frage, was ist das Ziel der Therapie und rechtfertigt dies potenziellen Schaden durch die dazugehörigen medizinisch-pflegerischen Maßnahmen. Sei der Schaden größer als der Nutzen, sei die Therapie nicht gerechtfertigt, erklärt Dr. Layla Güzelsoy.

Ein weiteres Orientierungsprinzip ist der Respekt vor der Autonomie des Patienten, dessen individueller Persönlichkeit und seiner Rechte. Die unabhängige Selbstbestimmung des Patienten zu respektieren heiße, so die Referentin, nur das zu machen, „was der Patient mitgehen kann“.

Gerade im hausärztlichen Bereich erlebt man jedoch, dass  sich Patienten von sich aus in eine paternalistische Situation begeben. „Herr Doktor, entscheiden Sie!“, lautet nicht selten die Forderung an den behandelnden Arzt wenn es darum geht zwischen möglichen Therapieformen zu entscheiden. Dies entstehe aus einer Überforderung heraus, sagt Dr. Layla Güzelsoy. In anderen Fällen kann dies auch dazu führen, dass der Patient „Gutes ablehnt“. Eine Entscheidung, die ihm gemäß seines Abwehrrechts auch zusteht.

Das laut der Vortragenden im Klinikalltag am schwierigsten umzusetzende Prinzip ist jenes der Gerechtigkeit beziehungsweise Gleichheit. Es besagt, dass Ressourcen, wie etwa die Zeit bei der Visite, ohne jegliche Diskriminierung verteilt werden sollen. Zugleich fordert es ein grundsätzliches Nachdenken darüber, wie man den verschiedenen Patienten, die hilfsbedürftig sind, begegnet.

Über allen diesen Prinzipien steht die Losung „in dubio pro vita“. Wenn man sich nicht sicher sei, wie  – im Sinne des Patienten – zu verfahren sei, entscheide man sich für das Lebenserhaltende, erklärt die erfahrene Medizinerin. Handlungssicherheit erlangt man einerseits durch den aktuell erklärten Willen, also wenn der Patient noch seine Wünsche eigenständig äußern kann. Andererseits bietet auch der im Voraus angefertigte Wille eine konkrete Anweisung für das medizinische Personal wie in bestimmten Fällen zu verfahren sei. Liegt keine dieser beiden Willensbekundungen vor, muss der Behandlungswunsch beziehungsweise der mutmaßliche Wille des Patienten ermittelt werden. Da aber selbst bei der schriftlichen Form einer Patientenverfügung nicht an alle Eventualität gedacht werden kann, rät Dr. Layla Güzelsoy dazu, sich mit Nahestehenden darüber auszutauschen, wie man sich ein lebenswertes Leben für sich selbst vorstellt.

Entlasten, empfehlen und entschleunigen

Der Sinn einer außerklinischen Ethikberatung bestehe darin, die Anfragenden (Angehörige, Hausärzte, Pflegeeinrichtungen und dergleichen) zu entlasten, eine Handlungsempfehlung auszusprechen, der nicht zwingend gefolgt werden muss sowie den Dialog zu fördern und den Prozess zu entschleunigen. Aus ihrer langjährigen Erfahrung weiß die Medizinerin, dass die häufigsten Themen bei der außerklinischen Ethikberatung die Therapiezielfindung, die Therapiebegrenzung und die Ermittlung des Patientenwillen betreffen.

Auch bei der ambulanten Versorgung durch Hausärzte treten immer wieder ethische Konflikte zutage. Sie drehen sich um das Absetzen von Medikamenten bei fraglichem Nutzen, der Fortsetzung einer potenziell kurativen Therapie bei schlechter Verträglichkeit, dem Dissens zwischen Angehörigen und Patienten bezüglich therapeutischer Maßnahmen, der Einweisung pflegebedürftiger und/oder wesensveränderter Patienten in Pflegeeinrichtungen gegen ihren Willen sowie die nachträgliche Umsetzung einer Patientenverfügung nach einer Notfallsituation.

Noch kann man man keine Anfragen an die außerklinische Ethikberatung Rothenburg stellen. Denn zunächst müssen die Mitglieder mit dem entsprechenden fachlichen Hintergrund zu Ethikberatern weitergebildet werden. mes

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