Die „Schicksalswahl“

Historisches Streiflicht vor 50 Jahren: Politik- und Gesangsstar

ROTHENBURG – Große Politik vor Ort, eine angebliche „Schicksalswahl“ im Bund und gesellschaftliche Höhepunkte mit bekannten Stars erlebte die Tauberstadt vor 50 Jahren. Von Franz Josef Strauß über Walter Scheel bis zu Udo Jürgens reichte die Promi-Besucherliste. Es war eine noch ganz „analoge Welt“, in der man ohne Internet und Handy lebte, dafür mehr miteinander redete.

Wahlkampf 69: Strauß mit MdB Georg Ehnes und Hillermeier vor der alten Sporthalle. Foto: diba

Als das Jahr 1969 begann freute man sich über den Rohbau der neuen Oskar-von-Miller-Realschule, die im Herbst dann eingeweiht wurde. Ein gesellschaftlicher Höhepunkt wurde im März die große Modenschau im Saal des Hotels „Bären“ mit mehreren beteiligten Firmen. Sie kam so gut an, dass man sie im April komplett nach Schrozberg ins Hohenlohische „exportierte“. Alfred Ledertheil (SPD) hieß der Oberbürgermeister und es gab mit Dr. Wagner noch einen Landrat des selbständigen Landkreises Rothenburg mit Sitz im heutigen Kriminalmuseum. Beide waren damals zusammen mit der Presse von Münchens OB Dr. Jochen Vogel auf die Olympia- und S-Bahn-Baustelle eingeladen, wo man sich für die Sommer-Olympiade 1972 vorbereitete, die dann der palästinensische Terroranschlag überschattete.

Unangenehm „heiß“ ging es im Mai im Rothenburger Landkreis her, wo rings um Erlach der Feuerteufel mit mehreren Bränden wütete und die Bewohner zur Verzweiflung trieb. „Verbrecherjagden, Mordfälle oder Studentenunruhen“, so konstatierte der Rothenburger Landespolizeichef  Weber, seien gottseidank kein Thema – aber schon im Folgejahr gab es einen Raubmord am Hornburgweg. Flüchtlings- und Asylprobleme kannte man  damals bei uns nicht. Europa schien „gut geordnet“ in Ost und West mit „eisernem Vorhang“, Kapitalismus und Kommunismus.
Strauß kam als Redner
In der überfüllten Sporthalle an der Schlachthofkreuzung wetterte der Bundesfinanzminister und CSU-Landesvorsitzende Franz Josef Strauß im September gegen angeblich von den Sozis ausgehende Gefahren. Ein Großereignis  für die lokalen Parteigrößen mit CSU-Vorstand Hans Centmayer, dem Landtagsabgeordneten Georg Ehnes (später Landrat) und Staatssekretär Dr. Karl Hillermeier aus Uffenheim. Der Münchner Vollblut-Politiker warnte vor einem Ruck nach Links durch SPD und FDP, die Jungsozialisten und die Außerparlamentarische Opposition (APO) würden sich zu gut verstehen.
Schon 1969 gab es ein „Rechts-Problem“ der CSU durch die aufkommende NPD. Wenn aber Gewalttäter in die Schranken gewiesen würden, wähle das Volk auch weniger Nationaldemokraten, so Strauß. Da lässt sich manch aktuelle Argumentationslinie ziehen. Immerhin bescheinigte Strauß der SPD als Koalitionspartner (von 1966 bis 1969) politische Mit-Erfolge, aber der SPD-Wirtschaftsminister Schiller dürfe sich nicht als „Retter aufspielen“. Scharfe Kritik übte er an der Moskau-Reise von Außenminister Brandt, denn die Russen würden den Deutschen nie ihr Selbstbestimmungsrecht einräumen. Später aber fliegt Strauß bekanntlich selbst nach Moskau und zu Honecker, um die politische Verständigung und Wirtschaftskontakte mit Erfolg voranzubringen! Auch was die Amerikaner anbelangt zeigte er Flagge: „Mir sitzt das deutsche Hemd näher, als der amerikanische Rock!“
Im Oktober 1969 wurde Willy Brandt knapp zum Kanzler gewählt und die SPD (44 Prozent) übernahm mit der FDP die Regierung. Die rechte NPD erzielte 4,3 Prozent. FDP-Vorsitzender Walter Scheel hatte vor der  Wahl ebenso wie Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel die Stadt besucht.
Der kulturelle Höhepunkt: das Konzert von Udo Jürgens im Oktober  in der alten Turnhalle. Auch Schallplatten-Millionär Gerhard Wendland fand in Rothenburg sein Publikum. Die Reichsstadthalle war damals noch eine Reithalle. Die Tauberesel-Faschingsgesellschaft erlebte ihre Blütezeit, im Wildbad residierte die Landespolizeischule. Parken und Verkehr waren umstrittene Rathausthemen und die hielten sich ja über fünf Jahrzehnte.
Schon der damalige Stadtbaumeister Karl Rahn hatte sich mit Grundsatzfragen der Stadtentwicklung herumzuschlagen: fast wären die Parkplätze bis zur Röderbastei ausgedehnt worden, auch eine Tiefgarage am Galgen- oder Rödertor war im Gespräch. Wer zurückblickt erkennt, dass sich viele Themen  wie­derholen oder auch gerne im Kreise drehen.     diba

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