Den Marion-Samuel-Preis erhalten

Hohe Auszeichnung für das Filmteam um Thilo Pohle – In illustrer Gesellschaft der Ausgezeichneten

ROTHENBURG/AUGSBURG – Eine besondere Ehrung, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: Im Rokokosaal der Regierung von Schwaben in Augsburg durfte die Dokumentarfilmgruppe der Rothenburger Oskar-von-Miller-Realschule aus den Händen von Ingrid Seinsch von der Stiftung Erinnerung den Marion-Samuel-Preis in Höhe von 15 000 Euro entgegennehmen.

Das Filmteam freut sich mit Thilo Phole (knieend) und Ingrid Seinsch (re.).

Damit erhielt erstmals eine deutsche Schule diese Auszeichnung, nach großen Persönlichkeiten wie dem amerikanischen Historiker Raul Hilberg, dem Filmemacher Michael Verhoeven, dem Sänger Rolf Biermann, dem ungarischen Literaturnobelpreisträger Imre Kertész und dem deutschen Historiker Götz Aly und Organisationen wie der Aktion Sühnezeichen.

Marion Samuel wurde am 27. Juli 1931 in Arnswalde (Brandenburg) geboren. Sie wurde am 3. März 1943 nach Auschwitz deportiert und kam dort ums Leben. Die Stiftung möchte mit dem Marion-Samuel-Preis an die Menschen erinnern, die ihr Schicksal teilten.

Oberbürgermeister Kurt Gribl wies in seiner Begrüßungsrede auf die Bedeutung der Bilder hin, die jungen Menschen von heute Mut machen sollen. Stiftungsgründerin Ingrid Seinsch erklärte, warum sie der Filmgruppe einer Schule erstmals diesen Preis verleihen möchte. Sie sagte: „Ich freue mich sehr, dass der Preis in diesem Jahr an junge Menschen geht. Marion wäre stolz auf euch gewesen!“

Norman Krauß (siehe Kasten), Vorsitzender der Erinnerungsstätte von Brettheim, zeigte in seiner Laudatio die Geschichte von dem mutigen Großvater eines Schülers auf, der 1945 von der SS aufgehängt wurde. Aus einem generationenübergreifenden Interviewprojekt sei ein weltumspannendes, internationales Projekt mit über 40 Filmen in 17 Sprachen der Welt geworden.

Mehr noch – als der Angriff auf die „Fremden“ auf deutschen Straßen schon ab 1992 immer mehr zunahm, entstanden Filme in Afrika und Indien, um die Angst vor dem unbekannten Fremden in Deutschland abzubauen.

Eva Lindner (li.) und Inka Schmierer bei Dreharbeiten in Theresienstadt. Fotos: privat

Die Filmschülerinnen Marion Fresz, Kerstin Schmidt, Tina Leyh, Marie Wuzel, Jannik Haas und Antonia Wanderer stellten danach an diesem Abend zusammen mit Thilo Pohle, dem Leiter der Dokumentarfilmgruppe, aus 35 Jahren Studiogeschichte ihre bewegendsten Erlebnisse bei den Dreharbeiten und den vielen tausend Filmvorführungen rund um die Erde vor.

In ihren Erzählungen zeigte sich, wie faszinierend Geschichte für junge Menschen sein kann, wenn sie die Chance haben, Geschichte selbst aus erster Hand kennen zu lernen. In einer langjährigen generationenübergreifenden Filmarbeit mit weit über hundert Interviews mit Menschen der Kriegsgeneration erschloss sich ihnen eine Welt, die sie so weder in wissenschaftlichen Abhandlungen noch im normalen Geschichtsunterricht kennen lernen können.

In jeder Filmaufnahme entdeckten sie immer von neuem die Einmaligkeit einer sehr persönlichen Erinnerung der alten Menschen und erlebten zugleich, wie sich mit jeder dieser Aufnahmen auch ihre Erfahrungswelt als junge Menschen mit jedem Bild veränderte. Und vielleicht war dieser Abend gerade deshalb so bewegend für die Zuschauer, weil sich hier Schüler in einem ganz ungewohnten Rahmen vorstellten: sie waren mit ihrer Kamera zu Entdeckern einer weit entfernten Welt und einer Großvätergeneration geworden und waren nun imstande, nicht mehr als Lernende, sondern als Lehrende eine Erwachsenenwelt in Erstaunen zu versetzen. Vielleicht liegt gerade darin das Geheimnis ihrer Filmvorführungen. Wenn junge Filmschüler – vor allem an Schulen – Schülern aus ihren Erfahrungen berichten und dies in bewegenden Bildern in Filmen zeigen, macht dies Mut.

Umso mehr, weil die Helden der Filmgruppe die Leute von nebenan sein könnten, all die unbekannten Bauern, Arbeiter und Mütter, Widerstand vom kleinsten und vielfach bis heute unbekannt und ungenannt. Dies in einer Zeit, in der Rothenburg die deutsche Kleinstadt mit dem höchsten Anteil an NSDAP-Wählern war. Die Filmschüler erzählten von einem Widerstand, der so auch bei jedem heute denkbar wäre, um im entscheidenden Augenblick nicht mit der Mehrheit wegzuschauen oder gar mitzulaufen, sondern Zivilcourage zu zeigen.

Inka Schmierer berichtete, wie sie vor 20 Jahren als 14-jährige Filmschülerin dem dänischen Juden Salle Fischermann begegnete und über ihn und seine Erlebnisse im Konzentrationslager Theresienstadt einen Film drehte, der 2005 den deutschen Dokumentarfilmpreis bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck gewann, einem Profiwettbewerb, bei dem noch nie zuvor ein Schulbeitrag angenommen worden war.

Ganz ohne Scheu

Sie sagte über ihre erste Begegnung: „Jessica war damals an der Kamera und ich überprüfte die Tonqualität. Ich schloss Salle von Anfang an ins Herz. Er erzählte so klar und selbstverständlich über seine schrecklichen Erlebnisse von damals, als würden wir uns schon lange kennen. Als wäre gerade keine Kamera auf ihn gerichtet. Als hätte er kein Mikro am Hemd stecken. Ich bewunderte ihn, wie er da in seinem Sessel saß und ganz offen, ohne Scheu, ohne einen Hauch von Verbitterung in der Stimme, unsere Fragen auf Deutsch (!) beantwortete. Seine zugewandte Erzählweise und warmherzige Art ermöglichte es uns Schülern auf eine ganz besondere Weise an seiner Lebensgeschichte Anteil zu nehmen, mitzufühlen.“ An diesem Abend wurde deutlich, warum Mitglieder des Kopenhagener Friedensorchesters mit Emil Goldschmidt, Klarinette, seiner Frau, der Sängerin Idil Alpsoy, und dem Inder Anders Singh, Harmonika, angereist waren. Sie begleiteten nicht nur den Abend, nein, sie prägten ihn ganz entscheidend mit ihrer jüdischen Musik auf höchstem Niveau.

Mut gemacht

Die Einladung nach Augsburg war auch ein Dankeschön der Filmgruppe an Emils Vater Henrik Goldschmidt, denn dieser hatte 2005 der Filmgruppe die Filmmusik geschenkt. Besonders gefreut hat es die Filmgruppe, dass unter den Gästen auch eine Delegation von der Rothenburger Realschule unter ihrem Leiter Axel Fahl und einer Gruppe von Lehrern und Filmschülern war.

Die Filmgruppe freue sich über jede Einladung zur Vorführung einer ihrer Filme, wird betont. Gerade diese Preisverleihung habe sie weiter motiviert. Sie habe deutlich gemacht, wie wertvoll es sein kann, wenn junge Menschen ihre Erlebnisse und Erfahrungen einbringen: Ein berührender Abend, der Mut machte. aj

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