Mitreißendes Spektakel

Kulturkritik: Jubel und Bravos bei Premiere im Toppler Theater

ROTHENBURG – Da hielt es das Publikum in den voll besetzten Reihen nicht mehr auf den Sitzen: Standing ovations für die zweite, hinreißend gelungene Premiere in dieser Saison im Toppler Theater. Mit der zweiten Eigenproduktion „Wir sind mal kurz weg – Die Midlife-Crisis-Revue“ von Til­mann von Blomberg und Bärbel Arenz ist ein zweiter „Volltreffer“ in Sachen veritabler Bühnen­­erfolg gelungen. Bis einschließlich Mittwoch, 29. August,  lässt sich das musikgeladene Spektakel unter der großartigen Regie von Katja Wolff genießen – so man eine Karte bekommt.

Ansteckend albern: D. Witthuhn, A. Wipprecht, S. Schill, S. Gossler (v. l.) Fotos: Willi Pfitzinger

Zwei Stunden prall gefüllt mit Komik, Hintersinnigem, Anrührendem, witzig choreographierten Tanz­einlagen zu Pop­schlagern und Weisen aus dem  Fahrten-Liederbuch „Die Mundorgel“ (genial umgetextet für das Stück von Bärbel Arenz) fesseln auf das Vergnüglichs­te. Temperamentvolle Schauspielkunst wird souverän unterstützt bis in die Details von Jan Freeses Bühnenbild und Kostümen, in Szene gesetzt mit wirkungssicheren Licht- und Toneffekten von Harald Köhler. Geschmeidig effektiv sind auch die musikalischen Arrangements von Carsten Gerlitz.

Freilich, prüde oder etepetete darf  man nicht sein, Appetit auf eine Portion schweinischen Humor mit herrenwitzlich  kalauernden Aromen sollte schon aufweisen, wer sich zu den vier Kerlen auf dem Jakobsweg begibt. Man wird sie in Unterhosen sehen und bei intimen Verrichtungen. Man wird Männer-Sprüche hören, die  politisch so unkorrekt sind, dass man sich schämt, darüber derart haltlos zu lachen – als Frau! Ein Türke mit Namen Haluk, zum Knutschen gespielt von Stefan Gossler, ist der liebenswer­tes­te Deutsche im Stück.
George Clooney kann nun auch einpacken, denn wir haben jetzt Joe alias Stephan Schill! Der smartphonesüchtige Unternehmer    sieht nicht nur super aus, sondern bewegt sich auch ungleich schneller als der Ami. Nest­häkchen Sven (Alexander Wipprecht) mit Teddyblick hat zwar erst ein einziges Buch in seinem 35-jährigen Leben gelesen, aber das verzeiht man sofort, wenn er schmelzend singt, dass er halt noch zu klein sei, um ein Erwachsener zu sein. Macht nichts, Optik stimmt, Rest wird schon! Denn irgendwie wollen die vier so verschiedenen Herren im   urologisch gesehen „vorsorgeuntersuchungsberechtigen Alter“ sich selbst entwickeln zu etwas Eigentlicherem als vorher.

Stellenweise hat die Revue die Qualitäten eines Musicals.

Anrührende Einblicke in die Psychodramen von vier verletzlichen Männerseelen finden statt. Auch beim Flach­mannzuller Helmut (Dirk Witthuhn), dem sinnkrisengeschüttelten sowie oberstufengeschädigten Gymnasiallehrer, gibt es trotz seiner bereits todesbleichen Fein­ripp­un­ter­hose noch Hoff­nung. Denn wäh­rend er sich gerade –  handwerklich beklagenswert unmännlich am untauglichsten Zweig – aufhängt aus Lebensüberdruss und Sehnsucht nach „Bin­chen“, ohne die es nicht gehe, rettet ihn Migrant Haluk.  Der erklärt ihm, dass man das Leben nicht wegwerfen dürfe wie einen erst halb aufgegessenen Döner. „Aber ich mag doch Schäufele mit Knödel“, wimmert Helmut. „Aber Leben ist Döner!“, weiß Haluk und singt zusammen mit seinen Kom­pag­nons ein höchst weises Lied mit dem Titel: „Gününü gün et“, türkisch für: Nutze den Tag!

Eine der wunderbaren Ideen in der Inszenierung ist ein Marienbrunnen auf der Bühne. Die Kommentare der heilig-klugen Dame aus dem Off werden angekündigt mit Blitz und Donner. Maria kennt die geheime Sehnsucht ihrer Schützlinge: geliebt werden! bhi

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