Ausstellung im Rathausgewölbe zeigt Schattenseiten der Schnäppchen
ROTHENBURG – Frisch, frech provokativ: Die geballte Kraft von Motivation, Arbeitsenergie, Fähigkeiten und Kreativität zeigt die lose Künstlervereinigung „ARTgenossen“ mit noch mehr Gruppendynamik in ihrer gemeinsamen Ausstellung „Schnäppchenjäger“ im Rathausgewölbe.

Mit ihrer Begrüßungsrede stimmte Christl Straßberger von den „ARTgenossen“ die Gäste ein. Fotos: Schäfer
Zehn kreative Köpfe, darunter Künstler die auch im Künstlerbund beziehungsweise im Kunstkreis aktiv sind, haben sich auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Thema auseinandergesetzt. Sie zeigen die Schattenseiten des Billig-Booms in einer Vielfalt der Kunstrichtungen auf. Malerei, Graphik, Objekte und Rauminstallationen bilden diese Pluralität ab und vermögen das ansonsten leere Rathausgewölbe eindrucksvoll zu füllen. Wahrhaftige Unikate statt Massenware und Plagiate.
Es gibt viel zu entdecken. Kreative Handwerkskunst, farbenfrohe Werke, Futuristisches, Technisches teils auch Kurioses. Eine „Schnäppchenjägerin“ als Lichtgestalt in neuester LED-Technik von Willy Kammleiter, Collagen aus Metall von Hermann Wolf. Weggeworfenes wird zu Kunst vewertet.
Die vielen Besucher der Vernissage waren von der Kunstschau angetan. Sie sorgt für Überraschungsmomente und Aha-Erlebnisse. Wer nicht aufpasst, landet in den Fängen einer „fleischfressenden“ Papier-Pflanze von Andrea Ballbach. Ein „Tor zur inneren Freiheit“ gebietet ehrfürchtig Einhalt. Das Kunstwerk aus 140 Büchern wirkt fragil mit potentieller Einsturzgefahr. Für den Betrachter unsichtbar hat Bettina Löhr-Hentz mit zwei Liter Holzleim, Schrauben und Eisenteilen für Standfestigkeit gesorgt. Getöpferte und bemalte Trophäen von Evelyne Weiß stehen für den Wettbewerb der „Billigheimer“.
Carmen Hiller hat der Raffgier künstlerische Emotionen und Gedanken verliehen. Ihre Gipsreliefs, die sie farblich gestaltet hat, zeigen einen Gierschlund, der immer mehr haben will und den Rachen nicht voll genug kriegen kann. In klarer und reduzierter Formensprache hebt sie die menschlichen Eigenarten hervor. Grafische Elemente setzt sie effektvoll ein, um den Sexismus in der Werbung deutlich zu machen. Mit wenigen Kreisen schafft sie ein Objekt der Begierde mit weibliche Rundungen. Die Standartausstattung zu „Sex sells“.

Papierkunst von Andrea Ballbach und Malerei „Nach der Jagd“ von Christl Straßberger.
Der ausufernde Konsum findet auch in der kritisch-ironischen Malerei ihren Ausdruck. Eine „Asiatische Schirmente“ von Patrick Riefer-Kraus als Symbol für schwächelnde Märkte weckt einerseits den Beschützerinstinkt. Ihr verschlagenes Lächeln zeigt sie erst auf den zweiten Blick.
Christl Straßberger beschreibt die Schnäppchenjagd als Mischtechnik. Billig ist nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, er bestimmt auch die Mentalität der Menschen. In einer Zeit, in der alles, was man haben kann, sofort verfügbar ist. Als Beispiel für die Renditefixierung „Geiz-ist-geil“ führt
sie bildhaft den Milliardär und „Schnäppchenjäger“ Paul Getty an, der selbst die Freilassung seines Enkels unter Aspekten wie Steuerabzugsfähigkeit sah. Aus Stoff, Papier und Draht hat die Künstlerin eine „Schnäppchen-Queen“ mit goldenen Schuhen kreiert. Überfluss und Verschwendung thematisiert sie mit teilweise bemalten Strick- und Häkelarbeiten. Die Ansammlung an Würsten, Saukopf und Suppenhuhn wirkt täuschend echt.
Paradiesische Verhältnisse? Verlockende Rabatte? Dem Konsumenten wird kritisch der Spiegel vorgehalten. Hat er nur die Prozente im Blick? Sabine Boas und Petra Freund vermitteln den Schnäppchenjäger-Instinkt mit der Skulptur „Im Auge des Jägers“ und mit der Rabattschlacht als abstrakte Acrylmalerei. Beim Rundgang durch die Ausstellung betritt man auch ein „Jagdzimmer“, das die beteiligten Künstler gemeinsam eingerichtet haben. Es eröffnet highlightverwöhnten Eventausstellungsbesuchern die Chance, Aufregendes und Neues zu „Schnäppchenpreisen“ zu erwerben.
Die zehn „ARTgenossen“ eint das Ziel, „die Welt wenigstens ein kleines bisschen zu einem besseren Ort zu machen“, sagte der Journalist und Theaterautor Arno Boas in seiner kurzweiligen Vernissagerede, die musikalisch eingerahmt wurde von dem Duo „Die Hüte“. Nach dem Motto „In der Kürze liegt die Würze“ verfuhr auch Christl Straßberger bei der Begrüßung. Als kleine Zugabe trug sie ein „Schnäppchenjäger“-Gedicht von Fritz Klingler vor.
Bürgermeister Kurt Förster wünschte der Ausstellung eine große Resonanz. Ansonsten ließ man lieber die Kunst sprechen, die in der Stadt einen großen Stellenwert einnimmt und das kulturelle Leben bereichert. Sie bringt frischen Wind in die alten Mauern. Junges Blut bedeutet stets neue Ideen und Agilität.
Die Ausstellung ist noch bis Sonntag 15. Juli zu sehen: täglich von 14 bis 19 Uhr. Der Eintritt ist frei. sis
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