Technisierte Welt

Zwischenmenschlicher Umgang im digitalen Zeitalter

SCHILLINGSFÜRST – Auf der Messe für moderne und aktuelle Kunst „Art Fair“ in Köln hat die Leiterin der Doerfler-Galerie, Hai Yan Waldmann-Wang, im letzten Jahr das Berliner Künstlertrio „In­ner­fields“ kennengelernt und zu einer Ausstellung nach Schillingsfürst geholt. Alle drei haben den Einstieg in die Kunst über die Graffiti-Szene gefunden, in der sie mittlerweile bekannt sind. In ihrer Leinwandserie „Netzwerk“ beschäftigen sie sich mit der Allgegenwärtigkeit von digitalen Tech­nologien.

Jakob Bardou, Veit Tempich und Holger Weißflog kennen sich seit der Jugend. Angefangen haben sie zunächst mit dem Besprühen von verlassenen Häuserfassaden. Inzwischen gehen sie die Wände hoch und verschönern mit großen bunten Bildern so manches Stadtbild. Wandgemälde im öffentlichen Raum bedeuten eine große Verantwortung, denn sie bleiben für vielleicht zwanzig Jahre oder mehr bestehen.

Die drei Berliner Künstler Holger Weißflog, Veit Tempich und Jakob Bardou (v.li.) stellen in der Doerfler-Galerie aus.Fotos: Schäfer

Die drei Berliner Künstler Holger Weißflog, Veit Tempich und Jakob Bardou (v.li.) stellen in der Doerfler-Galerie aus. Fotos: Schäfer

In ihren in der Doerfler-Galerie ausgestellten Arbeiten in fotorealistischen Darstellungen auf naturbelassenen Leinwänden setzen sich die drei Künstler mit den Auswirkungen der übermäßigen Nutzung von Kommunikationsgeräten auseinander. Digitale Technologien erleichtern den Alltag. Doch oft bewegen sich die Nutzer auch in Parallelwelten. Das Netz verändert das Zusammenleben. Bei allen Gelegenheiten starren Menschen wie gebannt auf ihr Smartphone. Die Grenzen zwischen erfahrbarer Realität, Identität und Natur verschwimmen in den Arbeiten von Innerfields. So wartet ein Schwein auf Nahrung aus dem Netz. Wie selbstverständlich bedient auch ein Bär auf Berliner Art ein Smartphone. Ein Vogel durchkreuzt die digitale Kommunikation, um den Blick auf die Natürlichkeit zu lenken.

Oder die Auswirkungen der Selfie-Manie: Die Menschen zücken ihr Smartphone, halten die Kameralinse armweit vom eigenen Gesicht weg, grinsen oder gestikulieren ihrem digitalen Spiegelbild entgegen und drücken auf den Auslöser, um es dann ins Netz zu stellen und an den erweiterten Bekanntenkreis zu versenden. Bei all der Knipserei bleibt die Reflexion auf der Strecke. Die wechselseitige Dauerbeobachtung durch Bilder ist das Schicksal einer ganzen Generation geworden. Der Mensch verschwindet in der digitalen Kommunikation und wird mit der Technik eins. In dem aus der Werbegrafik stammenden Druckverfahren fanden die drei Berliner ein ideales Ausdrucksmittel. Siebdruckarbeiten sind im Malprozess verwoben.

Das Hamburger Schanzenviertel haben Innerfields mit einigen Wandgemälden bereichert. Darunter ein Seemann mit angedeutetem Fischernetz als Bezug auf die Tätigkeit einer ortsansässigen Agentur, die sich mit der Vernetzung via sozialer Medien beschäftigt. Für ein mehrwöchiges Projekt zur Documenta in Kassel verzierten sie Wände mit Szenen aus den Märchen der Gebrüder Grimm. Sie profitieren von der Zusammenarbeit mit bekannten Unternehmen und betuchten Geschäftsleuten, für die sie Arbeiten im Innenraum und im Freien umsetzen. Etwa in der Fußgängerunterführung von Ikea in Berlin Tempelhof. Auch Audi, Lego, die Porzellan Manufaktur Meissen, Rewe oder Lego stehen auf ihrer Kundenliste. Auf einer 21 Meter langen und vier Meter hohen Innnenwand haben sie ein Astronautenmotiv entwickelt und den Raumfahrer aus dem Weltraum in eine mystische Welt entführt. Mit Pinsel, Sprühlack, Schablonen und Farbeimern gehen sie dabei ans Werk. Manchmal tragen sie auch echtes Blattgold auf im Zusammenspiel mit verschiedenen Materialien.

Flüchtlingsfrau: mit der Welt vernetzt.

Flüchtlingsfrau: mit der Welt vernetzt.

Eine besondere Herausforderung war die Gestaltung des St. Matt­häus-Kirchhofs in Schöneberg. Ein ge­schichts­träch­tiger Ort. Teile der Ruhestätte waren von den National­sozia­listen im Zuge der Germania-Planung Albert Speers zwischen 1936 und 1943 geräumt worden. Die drei Künstler malten die schattenhaften Silhouetten dieser Grabmale auf freigelegte Brandwände, die den Friedhof umgeben.

Mit den kommerziellen Auf­trägen können sie ihre freien Kunstobjekte umsetzen, auf Messen fahren, ihre Leinwände realisieren. Wandmalereien begleiten die Menschheit seit Jahrtausenden. In den 60er Jahren schufen Graffitikünstler ein neues Kapitel der Mural-Art. Heute sind künstlerisch gestaltete Hausfassaden in vielen Städten ein Blickfang.

„Wir sind glücklich, die drei Künstler für unser Museum gewonnen zu haben“, sagte Hai Yan Waldmann-Wang bei der Vernissage. Für die musikalische Umrahmung sorgte eine kleine Abordnung der Stadtkapelle Schillingsfürst. Die Nachwuchsspielerinnen meisterten mit der Bayernhymne und der „Ode an die Freude“ eine neue Herausforderung nach kurzer Probenzeit, wofür sie kräftigen Applaus bekamen. Die Ausstellungseröffnung bildete den Auftakt in die neue Saison. Unter den Gästen war auch der stellvertretende Landrat Stefan Horndasch. Die Museusmleiterin und Zweiter Bürgermeister Herbert Seidel erinnerten in ihren kurzen Ansprachen an die beiden im letzten Jahr verstorbenen Kulturförderer Hermann Baumann und Hermann Reyh, denen man ein ehrendes Gedenken bewahren werde. Die Ausstellung ist Mittwoch bis Sonntag und an Feiertagen von 12 bis 18 Uhr geöffnet. sis

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