Papst war Student in Rothenburg

Als argentinischer Priester und Goethe-Student bei Familie Pester in Judengasse gewohnt

ROTHENBURG – Seit der Argentinier Jorge Mario Bergoglio vor zweieinhalb Wochen zum Papst gewählt wurde, finden sich überall auf der Welt Menschen, die ihn von früher kennen. Die große Überraschung: Als Goethe-Student lebte er 1986 drei Monate in Rothenburg bei den Gasteltern Erwin und Frieda Pester in der Judengasse.

„Ich erinnere mich gerne an die Tage, die ich bei Ihnen verbrachte. Ich wünsche Ihnen frohe Ostern! Ich bete für Sie; Beten Sie für mich“, schrieb er ein knappes Jahr nach seinem Rothenburg-Aufenthalt in einer Grußkarte an die Eheleute „mit freundlichen Grüßen“ aus Buenos Aires. Von 4. August bis 2. Oktober 1986 wohnte der heute 76-Jährige, der sich nun Franziskus nennt, zur Untermiete, während er im Goethe-Institut in der Herrngasse einen Deutschkurs besuchte.

Walter Pester freut sich über den Fund.

Walter Pester freut sich über den Fund.

Das Ehepaar Pester hatte sich seinerzeit auf das Wohnungsgesuch der Stadt für Goethe-Studenten in der Zeitung gemeldet. Die beiden Söhne waren aus dem Haus und so stand das Erdgeschoss mit zwei Zimmern, Küche und Badewanne leer. Erwin Pester arbeitete jahrzehntelang als Hausmeister im damaligen Landwirtschaftsamt und bewohnte in der Zeit eine Hausmeisterwohnung. Nach der Pensionierung kehrte er mit seiner Frau in das Haus in der Judengasse zurück. Ihnen reichte das Obergeschoss. Das Erdgeschoss vermieteten sie von 1986 bis 1992 an Goethe-Studenten. Das kleinste der beiden Räume bezog der damalige Deutschschüler Jose Mario Bergoglio: Ein Kämmerchen mit Waschbecken, großem Fenster ins Grüne. Dazu gehörte eine kleine Gemeinschaftsküche und eine Toilette sowie eine Badewanne.

Schon bei der Wahl Ratzingers zum Papst 2005 war der Name von Jorge Mario Bergoglio aufgetaucht, was die Familie Pester mit Interesse verfolgte. Im dritten Wahlgang, so heißt es, hätten damals bis zu vierzig Kardinäle für ihn gestimmt. Sein Rückzug ermöglichte schließlich die Wahl Ratzingers. Schon damals sprach die Familie darüber, dass sie fast einen Papst beherbergt hat. Dass nach dem überraschenden Rücktritt des deutschen Pontifex der Argentinier der neue Oberhirte der Katholiken wurde, hat Erwin Pester nicht mehr erlebt. Er starb 2010. Frieda Pester, die heuer 90 wird, lebt inzwischen im Altenheim, weil die Füße nicht mehr mitmachen.

Ihr Sohn, Walter Pester, befand sich auf einer Autofahrt als er den Wahlausgang hörte. „Ich war richtig aus dem Häuschen, als der Name fiel“. Ein Jahr stand sein Elternhaus leer. Dann begann er mit seinem Bruder Reinhold das Haus auszuräumen. Es soll von Grund auf saniert werden, denn die Installationen sind mindestens über 40 Jahre alt. Beim Sortieren von Unterlagen stieß er auf Fotoalben mit Namen von ehemaligen Goethe-Studenten und den handgeschriebenen Eintrag seiner Mutter „Priester Jorge Mario Bergoglio, Argentinien“ mit dem Datum „August ‘86“.

In einer älteren Bibel entdeckte er die Ansichtskarte mit dem Ostergruß an den „lieben Herrn und Frau Pester“, fein säuberlich mit Tinte geschrieben. Walter Pester erinnert sich an die Erzählung seines Vaters: Als er Jose Mario Bergoglio das kleine Zimmer zeigte und auf die bescheidenen Wohnverhältnisse verwies, meinte der Gastschüler gelassen, „Platz ist in der kleinsten Hütte“. Seiner Mutter, die regelmäßig das Bettzeug und Handtücher im Zimmer wechselte und putzte, fiel auf, dass immer wieder die Vorhänge zugezogen waren und eine Kerze brannte wie bei einer stillen Andacht. Einen Teil des Mobiliars hat Walter Pester entsorgt, die Nachtkästchen aber als Andenken behalten.

Die Originalpostkarte, die der spätere Papst im April 1987 an seine Gastfamilie nach Rothenburg geschickt hat. Fotos: Schäfer

Die Originalpostkarte, die der spätere Papst im April 1987 an seine Gastfamilie nach Rothenburg geschickt hat. Fotos: Schäfer

Bei seinen Recherchen im Internet hat er erfahren, dass Jorge Mario Bergoglio vor seiner Rothenburg-Zeit schon in Boppard am Rhein Deutsch lernte. Insgesamt verbrachte er längere Zeit in Deutschland. Erst nach seinem Diplom-Abschluss als Chemietechniker hatte er Theologie studiert und war in den Jesuitenorden eingetreten. 1969 wurde er zum Priester geweiht. 1985 ging er während seiner Promotion nach Deutschland an die Hochschule St. Georgen.

Dass der neue Papst die Ostergrüße vor Tausenden von Pilgern auf dem Petersplatz nicht auf Deutsch sprach, hängt nicht damit zusammen, dass er die am Goethe-Institut erlernte Sprache verlernt hat. Franziskus konnte die 65 Grüße (darunter in Armenisch, Estnisch, Birmanisch) nicht in der Kürze der Zeit lernen. Zu den Berühmtheiten, die als noch „Unbekannte“ in Rothenburg waren, zählt auch der frühere Staatschef Michail Gorbatschow, der 1975 als normaler sowjetischer Parteisekretär im Rothenburger Rathaus empfangen worden war. sis

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