Amüsant und nachdenklich

Ein Tucholsky-Abend mit dem Titel „Ja, das möchste“ in der Korn-Halle

ROTHENBURG – Den 125. Geburtstag des Journalisten und Schriftstellers Kurt Tucholsky nahmen sich Kulturforum, Goethe-Gesellschaft und Stadtbücherei am Welttag des Buches zum Anlass einer Lesung in der Korn-Halle.

Eine Lesung an diesem Tag hat sich fest im Rothenburger Kulturkalender etabliert – sie fand schon zum elften Mal in Folge mit mehr als 70 Zuhörern statt. Erich Landgraf, Vorstandsmitglied des Kulturforums, wählte 18 Gedichte, Szenen, Lieder und sonstige Texte des bedeutenden Publizisten aus. Als Titel wählte er: „Ja, das möchste“ – die Eingangsworte des Gedichts „Das Ideal“ mit vielerlei Wunschgedanken der Gesellschaft, die jedoch niemals vollständig erreicht werden. Hannelore Hochbauer und Herbert Krämer-Niedt übernahmen die Moderation und fanden für jeden inhaltlichen Themenwechsel eine erfrischende Überleitung. Zudem konnten Sie mit weniger bekannten Details aus Tucholskys Vita überraschen. Dass der Schriftsteller mit nicht weniger als vier Pseudonymen während seiner Schulzeit mit der Note 5 im Fach Deutsch auffiel vermag ebenso erstaunen wie der Abschluss einer Promotion in Jura – dazu über ein so trockenes Thema wie die Vormerkungswirkung der Hypothek. Als Jurist tätig wurde er nie: Er begann das Studium mit dem Ziel, Strafverteidiger zu werden, war jedoch dann schon während des Studiums sehr umfangreich journalistisch und schriftstellerisch tätig, sodass er seinen erlernten Beruf nie ergriff. Als Leser standen Anna Mund, Jutta Striffler, Edith Hümmer, Dieter Kölle, Günter Strobl, Stefan Reihs und Peter Noak auf der Bühne. Susanne Landgraf und Günter Strobl beeindruckten mit Liedvorträgen, die vom Vorsitzenden des Kulturforums Jürgen Klatte am elektronischen Piano begleitet wurden. Inhaltlich konnten an einem kurzen Leseabend nur minimale Lichtpunkte des immensen Werkes Tucholskys herausgepickt werden. Die Mitwirkenden zeigten auf, mit welch klarem Blick der Schriftsteller auch die alltäglichsten Situationen durchschaute; mal amüsiert, mal gequält, mal sarkastisch.

Bewiesen schauspielerische Fähigkeiten in den Rollen: Edith Hümmer und Peter Noack.

Bewiesen schauspielerische Fähigkeiten in den Rollen: Edith Hümmer und Peter Noack.

In den Szenen im Theater („Wendriners setzen sich in die Loge“), im Beratungsgespräch („Interview mit sich selbst“) und am heimischen Ess­tisch („Ehekrach“) bewiesen Hümmer, Kölle, Striffler und Noack schauspielerische Fähigkeiten und wie zeitlos die zwischenmenschlichen Probleme und gesellschaftlichen Anschauungen zu Tucholskys Lebenszeit noch heute sind. Auch den Leistungsdruck und die Erwartungshaltung von außen hat Tucholsky skizziert („Aus dem Ärmel geschüttelt“), seine eigene Widersprüchlichkeit und die seiner Mitmenschen in Worte gefasst („Der fromme Angler“) und seine ironisch-überspitzte Meinung zu finanziellen Angelegenheiten verlautbart („Kurzer Abriss der Nationalökonomie“). Einer der bedeutendsten Schriftsteller der Weimarer Republik hinterließ ein umfangreiches Werk, das amüsiert, zum Nachdenken anregt, unterhält und inspiriert. Insbesondere ist für jede Vorliebe etwas dabei. Die Welt wäre um all diese Gedanken ärmer, wenn Tucholsky sich nur den Rechtswissenschaften gewidmet hätte. Kurt Tucholsky, 1890 als Sohn eines Kaufmanns in Berlin geboren, hatte Jura studiert und war kurze Zeit Bankvolontär, dann Mitarbeiter und zeitweilig Herausgeber der „Weltbühne“. Ab 1924 lebte er überwiegend im Ausland. 1933 verboten die Nazis die „Weltbühne“, verbrannten seine Bücher und bürgerten ihn aus. Er war ein außerordentlicher Mensch, auch in seinen Mängeln, vor allem aber ein außerordentlicher Autor. Zu seinem Privatem gehörten die Frauen – Stoff genug für ein abendfüllendes Programm. Kurt Tucholsky lebte stets mit mindestens zwei Frauen gleichzeitig, die nicht immer voneinander wussten. Nie konnte er allein sein. Stets brauchte er Zuspruch, Wärme, Zärtlichkeit – zu seinen Bedingungen. Diese emotionale Labilität erklärt sich aus dem schwierigen Verhältnis zu seiner Mutter – eine Haustyrannin und der Schrecken der Familie. Bis zum Schluss hasste er seine Mutter, die 1943 als Opfer Hitlers im Konzentrationslager Theresienstadt starb. Völlig vereinsamt und isoliert wählte er schließlich den Freitod. Nach Einnahme von Gift starb Tucholsky am 21. Dezember 1935 in Hindas bei Göteborg an den Folgen seines Selbstmordversuches. Er hatte mit seiner Literatur die Welt verändern versucht und meinte versagt zu haben. cas/sis

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