Kein Mitläufer
Die Diskussion um die Umbenennung der Ludwig-Siebert-Straße hat in den Leserbriefen dieser Zeitung leider immer abstrusere Formen angenommen, sodass ich sie aus der Sicht eines Historikers nicht mehr länger unkommentiert stehen lassen kann. Zunächst muss eines ganz deutlich herausgestellt werden: Ludwig Siebert hat das menschenverachtende, mörderische Unterdrückungsregime der Nazis aktiv mitgestaltet. Jemand, der im Januar 1931 (zwei Jahre vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler) als erster Oberbürgermeister Bayerns in die NSDAP eintrat, kann nicht nur ein Mitläufer gewesen sein. Und ganz sicher wird man nicht drei Monate nach der Machtübernahme der Nazis zum Bayerischen Ministerpräsidenten ernannt, wenn man die geisteskranken Ideen eines Herrn Hitler nicht weitgehend teilt. Darüber hinaus hat sich Ludwig Siebert immer wieder mit antidemokratischen und antisemitischen Äußerungen in der Öffentlichkeit gezeigt. Konsequenterweise wurde er im Zuge der Entnazifizierung zunächst als „Hauptschuldiger“ eingestuft und erst nach Einspruch seiner Familie der Gruppe der „Belasteten“ zugeordnet. Darin ist sicher keine weniger kritische Einschätzung seiner Schuld zu sehen, sondern (wie damals häufiger zu beobachten) ein Entgegenkommen gegenüber seiner Familie, weil so nur die Hälfte seines Vermögens eingezogen wurde. Jeder Versuch, die Schuld eines Herrn Siebert zu relativieren und ihn als großen Wohltäter Rothenburgs zu feiern, ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die unter dem von Ludwig Siebert mitgestalteten Regime zu leiden hatten. Natürlich hat jeder Mensch nicht nur schlechte Seiten; aber nur, weil ein Nationalsozialist „auch gute Seiten“ hatte, rechtfertigt das noch lange nicht, eine Straße mit seinem Namen zu ehren. Und wenn schon Gutes gegen Schlechtes aufgerechnet werden soll, dann muss man auch mit einberechnen, dass Ludwig Siebert das geistige Fundament für den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg mit gebaut hat. Er hat sich damit an zwei der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte mitschuldig gemacht. Zur Rolle der Kirche im Dritten Reich: Dass besonders die Evangelische Kirche eine beschämende Rolle während der NS-Zeit gespielt hat, ist weithin bekannt. Es sei aber betont, dass Herr Dr. Gußmann das nie verleugnet hat und dass die Rolle der Kirche auf seiner Internetseite „Rothenburg unterm Hakenkreuz“ in mehreren Beiträgen äußerst kritisch beleuchtet wird. Es ist daher reichlich unverschämt, wenn versucht wird, Herrn Dr. Gußmann mit Verweis auf seine Zugehörigkeit zur Evangelischen Kirche in der Sache Ludwig Siebert den Mund zu verbieten (wie in Leserbriefen der jüngeren Vergangenheit geschehen). Herr Dr. Gußmann gehört der Kirche des Jahres 2015 an und nicht der Kirche der NS-Zeit. Besonders verärgert haben mich daher die persönlichen Angriffe gegenüber seiner Person. Die Behauptung, er lasse „die Marionetten tanzen“ ist eine Beleidigung nicht nur ihm gegenüber, sondern auch gegenüber den angeblichen Marionetten, also den Stadträten. Es gehört großer Mut dazu, Missstände anzuprangern und ich spreche Herrn Dr. Gußmann hiermit meinen großen Dank dafür aus, dass er den Mut und die Beharrlichkeit aufgebracht hat, um den Stadtrat von der Richtigkeit der Umbenennung der Ludwig-Siebert-Straße zu überzeugen.
Dr. Markus Naser, Wolfsau
Vielen Dank für diesen äußerst sachlichen und differenzierten Kommentar. Sie sprechen mir aus der Seele!